Jungpferdetraining
Was muss ein junges Pferd in welchem Alter lernen? Diese Frage wird unter den vielen verschiedenen Trainingsphilosophien vermutlich so kontrovers diskutiert, wie keine andere. Meine persönliche Meinung zum Thema "Jungpferdetraining" umfasst nicht nur das Training an sich, sondern die gesamte Jungpferdeaufzucht. Idealerweise kann das Fohlen nach dem langsamen Absetzen von der Mutter in seiner gewohnten Herde mit gleichaltrigen und älteren Pferden (nicht nur Jungpferden) verbleiben. Hier lernt es die wichtigsten Grundregeln zum Zusammenleben in einer sozialen Gemeinschaft, was mir das Training später um ein Vielfaches vereinfachen kann.
In den ersten drei Jahren muss das Jungpferd noch nicht viel Lernen, außer dem "Fohlen ABC" (Halfter tragen, sich von Weide zu Weide führen lassen, Hufe geben und sich anfassen sowie putzen lassen – alles in erster Linie, um ihm im Notfall so stressfrei wie möglich helfen und es ggf. tierärztlich versorgen zu können) sowie ein paar Grundregeln verstehen: Nicht treten, nicht beißen, nicht schubsen/rempeln.
Ob und wann ein Pferd "ins Training" genommen – also vom Boden aus mental und körperlich für die spätere Arbeit unter dem Sattel vorbereitet – wird, hängt ganz individuell vom jeweiligen Pferd ab. Einige Pferde wirken körperlich bereits mit 2,5 Jahren sehr weit entwickelt, sind aber mental noch nicht besonders konzentrations- und aufnahmefähig. Andere sind erst mit 4 Jahre körperlich so weit, dass sie langsam in die Arbeit genommen werden können.
Neben den oben beschriebenen "Grundregeln" sowie dem Fohlen ABC kann – je nach Pferd – ab etwa 3 Jahren langsam mit der weiterführenden, vertiefenden Arbeit vom Boden aus begonnen werden. Hierzu gehört zunächst das Führen zu verfeinern: Antreten lassen, Anhalten, Tempiunterschiede, ein paar Schritte Rückwärts richten, Hinter- und Vorhand weichen lassen und viel Spazieren gehen. Wenn das funktioniert, können diese Übungen auch Schritt für Schritt aus einer weiteren Entfernung abgefragt werden, bis man das Pferd auf Distanz genauso arbeiten kann, wie beim Führen. Idealerweise hat man die Möglichkeit, es nun als Handpferd mit einem erfahrenen Führpferd ab und zu mit ins Gelände zu nehmen und es dabei auf geraden Strecken auch einmal traben und galoppieren zu lassen.
Wenn das Pferd körperlich so weit ist, kann als nächster Schritt mit leichter Longenarbeit auf großen Wendungen begonnen und langsam die gymnastizierende Arbeit an der Hand hinzugenommen werden, um die notwendige Reitpferdemuskulatur schonend aufzubauen. Hat das Pferd nun gelernt, sich an der Longe sowie an der Hand taktvoll und gleichmäßig zu bewegen und hat es bereits ausreichend Muskulatur aufgebaut, um allmählich mit zusätzlichem Gewicht auf dem Rücken belastet zu werden, kann es an den Sattel und anschließend auch stufenweise an das Reitergewicht gewöhnt werden.
Beim Einreiten von Jungpferden ist mir zu Beginn in erster Linie wichtig, dass das Pferd seine Balance unter dem Reiter findet. Hierzu sollte so wenig wie möglich über Hand oder Bein am Pferd herum "manipuliert" werden. Der Kopf darf als Balancierstange genutzt und dort getragen werden, wo das Pferd ihn zum Ausbalancieren benötigt. Das Tempo wird zu Beginn möglichst weder forciert, noch zu stark gebremst, damit das Pferd seine freie Vorwärtsbewegung nicht verliert. Die wichtigsten Grundkommandos unter dem Reiter sind: Anhalten, Anreiten, Lenken. Idealerweise geht man mit dem Jungpferd anfangs viel ins Gelände (ggf. vorerst als Handpferd von einem zweiten Reiter), damit es seine Balance zunächst auf der Geraden findet. Kann es sich hier frei unter dem Reiter in allen drei Gangarten bewegen, kann man mit großen Wendungen auf dem Reitplatz/in der Reithalle beginnen.
Die Abwechslung ist auch in der Jungpferdeausbildung extrem wichtig! So sollte die Bodenarbeit zur weiteren Gymnastizierung (Beginn von Stellung, Biegung, Seitengängen, etc.) sowie der Spaß (z.B. durch Freiarbeit, Gelassenheitstraining, Spaziergänge, etc.) nie zu kurz kommen und das Reiten zu Beginn eher im Hintergrund stehen. Alles, was später unter dem Sattel abgefragt werden soll, sollte das Pferd zunächst vom Boden aus ohne Reitergewicht lernen. So kennt es bereits die Hilfen und weiß, wie die einzelnen Aufgaben körperlich ausgeführt werden.
Jungpferdeausbildung benötigt Zeit!
Ich persönlich bin kein Freund davon, ein komplett rohes Pferd für wenige Monate in Beritt zu geben und ein fertig eingerittenes Pferd abzuholen. Meiner Meinung nach, bleibt in dieser sehr kurzen Zeit irgendetwas auf der Strecke, was später zu immensen Problemen führen kann. Jedes Pferd ist ein Individuum und benötigt unterschiedlich lange Zeit, um neue Sachen zu lernen sowie sie körperlich umzusetzen. Aus diesem Grund arbeite ich auch immer direkt mit den Besitzern zusammen, da sie es sind, die mit dem Pferd später im Idealfall dauerhaft zusammenleben und den Alltag bestreiten. Bis ein Pferd unter dem Sattel so weit ist, dass es seine Balance gefunden hat und reell gearbeitet werden kann, können schon einmal gut und gerne ein paar Jahre ins Land gehen. Wenn man sich selbst und insbesondere auch dem Pferd diese Zeit gibt, wird die darauffolgende, weiterführende Ausbildung bis zur Hohen Schule deutlich weniger Zeit in Anspruch nehmen, da das Pferd von Beginn an verstanden hat, was von ihm verlangt wird und sein Körper die Zeit hatte, sich an die Herausforderungen anzupassen. Dieser Weg ist für mich die Basis für ein gesundes, langes und harmonisches Miteinander, bei dem man nicht über Kraft und Zwang die fehlenden Bausteine des Fundamentes "kaschieren" muss.